Vom Chepe und der Abgeschiedenheit in den Bergen
Um 6:45 gab es Frühstück. Der Besitzer höchstpersönlich bereitete es in der offenen Küche zu.
Es gab vorab einen Obstteller, dann Rührei, getoastete Brotscheiben und Marmelade. Da wir keinen Kaffee zum Frühstück trinken, bestellten wir heißes Wasser. Teebeutel haben wir immer im Gepäck, da die Mexikaner kaum Tee trinken. Das Frühstück kostete pro Person umgerechnet 4,50 € extra.
Außer uns war nur noch eine Familie anwesend. Sie unterhielten sich untereinander auf Französisch, mit uns sprachen sie Englisch und mit dem Hotelbesitzer Spanisch. Der Bootslenker kam auch noch auf einen kurzen Plausch vorbei, doch die Zeit drängte, denn der überpünktliche, einbeinige Pritschenwagenfahrer stand schon am Eingang.
Bis zur Bahnstation sind es 5 km. Unterwegs fragte mich unser Fahrer, ob wir in der 1. oder 2. Klasse fahren. Erste Klasse war meine Antwort. Daraufhin textete er mich zu und ich verstand nur noch Bahnhof. Vor dem Bahnhof blieb er mitten drin stehen und fragte wieder, ob wir 1. oder 2. Klasse fahren. Erste natürlich, aber das war doch, soweit ich den kleinen Bahnhof überschauen konnte, ohnehin egal. Er fuhr nach links und ließ uns am Wartebereich der ersten Klasse aussteigen.
So nach und nach füllte sich der Wartebereich mit ganzen Reisegruppen, die Tickets in der Hand hielten. Mein Blick fiel auf ein Plakat auf dem in der Landessprache stand, dass ab März keine Tickets mehr im Zug für die erste Klasse verkauft werden. Die können nur noch online geordert werden. Jetzt fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Das war es, was mir der Fahrer die ganze Zeit mitteilen wollte.
Zwischenzeitlich traf auch die Familie vom Hotel ein und ich fragte den Mann, ob er mir den Text zur Bestätigung übersetzen könnte. Meine Sprachkenntnisse hatten mich also nicht verlassen. Was nun? Da hatte ich diese Reise monatelang vorbereitet und keinen Hinweis im Internet darauf gefunden. Die Reiseroute war insofern abgesteckt, dass auf der Strecke die Hotels fest reserviert waren. Wir mussten mit dem Zug fahren.
Zur weiteren Bestätigung sprach ich noch einen englischsprechenden Reiseleiter an, der gerade die Tickets an seine Gruppe verteilte. Er sagte, dass wir heute in der 2. Klasse reisen könnten und da werden auch Tickets im Zug ausgestellt. Morgen gibt es aber ein Problem, denn der 1. Klasse Zug fährt täglich, aber die Waggons der 2. Klasse werden nur jeden 2. Tag angehängt. Es nützte alles nichts, wir mussten uns geistig vom Salonwagen verabschieden und rollten unsere Koffer zur 2. Klasse.
Die Passagiere der 2. Klasse drängten sich bald auf dem Bahnsteig, als der Chepe einfuhr.
Ein junger, blonder Mann sprach uns an und freute sich über weitere Deutsche. Es stellte sich heraus, dass er aus unserer Gegend stammt und zu der Zeit ein Auslandssemester in Mexiko City machte. Wann immer es seine Zeit erlaubte, unternahm er mit seinem mexikanischen Freund Touren durch das Land. Wir erzählten ihm von unserer Misere und der Freund bot an, den Schaffner zu fragen, ob wir am nächsten Tag in der 1. Klasse weiterreisen können.
Die Plätze im Zug werden zugeteilt. In der 1. Klasse sind diese auf den Tickets vermerkt und in der 2. Klasse werden sie beim Einstieg zugewiesen. Der junge Mexikaner managte alles und wir sollten folgen.
Wir zogen unsere Koffer durch viele Waggons, in denen die Gepäckfächer mit Kartoffelsäcken der Einheimischen vollgestellt waren.
Wir paar 2. Klasse Touristen bekamen den letzten Waggon zugeteilt.
Das hatte aber den Vorteil, dass wir nach hinten freie Sicht auf die Gleise hatten. Ebenso nach rechts oder links fotografieren und somit viel mehr Bilder als die in der ersten Klasse machten konnten.
Endlich hatten wir das Gepäck verstaut, kurz in den bequemen Sitze verschnauft, uns mit den zwei Jungs und einem japanischen Paar (er studiert seit 4 Jahren in Chihuahua) unterhalten. Kurzum: Wir fühlten uns in der 2. Klasse richtig wohl.
Der Schaffner kam später vorbei, kassierte und stellte die Tickets aus. Für unsere erste Etappe, die vierstündige Fahrt bis Bahuichivo bezahlten wir für 2 Personen 920,24 P = 44 €.
Die Fahrt im Chepe ist für eingefleischte Eisenbahnfans ein Muss, denn die schönste Eisenbahnstrecke Mexikos durchquert einen Teil der Sierra Madre Occidental, der nach den dort beheimateten Indígenas auch Sierra Tarahumara genannt wird. Es geht durch alle Klima- und Vegetationszonen des Landes, über Dutzende von Brücken, Tunnel, über Bergkämme und durch zerklüftete Schluchten. In diesen Cañons del Cobre, Urique, Batopilas und wie sie alle heißen fände der nordamerikanische Grand Canyon mehrmals Platz. Durch dieses weitgehend weglose und teilweise unzugängliche Gebiet führt größtenteils nur die Bahnstrecke von C (Chihuahua) bis P (Pacífico). Der Zug wurde deshalb Chepe genannt. Die Strecke zwischen El Fuerte und Bahuichivo ist nicht nur eine technische Meisterleistung, sondern diese Orte verbindet nur die Schienen.
Das flache Land ließen wir so langsam hinter uns.
Vorbei an schönen Bergseen,
durch viele Tunnel,
über Brücken,
gewann der Zug immer mehr an Höhe.
Es war mittlerweile unerträglich heiß im Waggon, denn nur in unserem war die Klimaanlage defekt. Der Schaffner bot uns zwar an, in einen anderen Waggon zu wechseln, doch dann hätten wir trotzdem immer durch diesen Waggon nach hinten gehen müssen.
Die Studenten verschwanden mal eine Weile und kamen mit kalten Cokes zurück. Ich fragte, wo sie die her haben. Sie sagten, dass vier Waggons weiter der Speisewagen ist und es dort Burritos gibt. Noch immer hatte ich das Bild eines Salonwagens vor mir und deshalb erstaunt, dass die Jungs dort Zutritt hatten. Die Ernüchterung kam schnell, denn die 2. Klasse hatte ihren eigenen Speisewagen bzw. rollenden Stehimbiss.
Aber immerhin wurden Burritos frisch zubereitet und die schmeckten sogar ganz lecker. 20 P = 95 Cent kostete ein Burrito und die kalten Softdrinks ebenso.
Nach dem Essen mussten wir aber wieder schnell raus auf unsere Plattform, denn die erste Schleife stand an und der Gegenzug war in Sicht.
Unser Zug musste aber erst einmal stehen bleiben und den Gegenzug passieren lassen.
Der Gegenzug hatte Autoteile geladen.
Und weiter ging die Fahrt mit dem Stinker ähm Chepe. Vor allem wir im letzten Waggon bekamen voll den Ruß mitsamt Gestank ab.
Und weiter schraubte sich der Zug über die Schleifen nach oben.
So langsam wurde ich nervös, denn wir wussten nicht, wann wir aussteigen müssen. Wir waren fast 4 Stunden unterwegs, doch es war kein Schaffner zu sehen und Durchsagen gibt es im Zug keine.
Der deutsche Student schaute in einer Map App nach und meinte, dass wir den Ort bald erreichen. Es war uns schon etwas mulmig, so im Nirgendwo auszusteigen. Vor allem hofften wir, am Bahnhof abgeholt zu werden.
5 Minuten später hielt der Zug, aber es war kein Schild zu sehen. Laut der Map mussten wir aber in Bahuichivo eingetroffen sein. Wir packten schnell unser Zeug zusammen, verabschiedeten uns von den Jungs und stiegen aus.
Der Zug war so lang, dass wir die schweren Koffern einen halben Kilometer auf dem Schotter den Schienen entlang schleppen mussten. Das bisschen Bahnsteig reicht gerade mal so für alle 1. Klasse Wägen (grün-gelbe Lackierung).
Juhuu, wir waren gerettet. Der Van von der Unterkunft stand bereit, aber der Fahrer war nicht zu sehen.
Irgendwann kam er mit einem Schild angelaufen und war erstaunt, dass wir schon da waren. Tja, er hatte uns an der 1. Klasse erwartet. Mauricio, ein ganz lieber junger Mann, der kein Wort Englisch sprach, sagte, dass wir leider noch nicht zur Lodge fahren können und noch 1,5 Stunden auf weitere Gäste vom Gegenzug warten müssen. Er bot uns an, dass wir so lange in einem Restaurant etwas essen können.
Eigentlich hatten wir keinen Hunger, nur Durst, denn unser Saunaabteil im Zug und der Koffertransport über die Gleise haben uns ganz schön ins Schwitzen gebracht. Ich verstand zwar nicht, warum er sich so bockig anstellte und uns partout nicht vorab in die Lodge fahren wollte. Aber wir willigten ein und ließen uns am Baseballplatz vorbei,
auf dem anderen Hügel in ein Restaurant mit Laden bringen.
Da Mauricio erwähnte, dass es erst um 19 Uhr Abendessen gibt (davon wussten wir vorher nichts), bestellten wir uns Hamburger und kalte Getränke. Wir wollten Mauricio dazu einladen, doch er bestellte seinen Hamburger bei der Köchin ab. Der Hamburger und die Pommes aus den frischen Kartoffeln waren recht lecker.
Mineralwasser zum Mitnehmen hatten sie leider keines mehr, deshalb brachte uns Mauricio im Ort
zu einem anderen Laden.
Nach 1,5 Stunden kam endlich der Gegenzug.
Die weiteren Gäste waren ein älteres mexikanisches Paar, das nur Spanisch sprach. Ich wurde sprachlich ganz schön gefordert.
Wir ließen Bahuichivo hinter uns und erreichten nach 20 Minuten Cerocahui. Doch auch diesen wunderschön gelegenen Ort mitsamt geteerter Straße ließen wir hinter uns und fuhren eine Dirtroad den Berg hinauf. Die Gegend erinnerte mich irgendwie an die Smokey Mountain Road bei Escalante in Utah. Nach einer Stunde Fahrt erreichten wir endlich die Wilderness Lodge, die ihren Namen zu recht verdient hat. Jetzt war uns auch klar, dass er es zeitlich nicht geschafft hätte, zur Lodge und nochmals zurück zum Bahnsteig zu fahren.
Im rechten Gebäude befindet sich der große Aufenthaltsraum mit Lobby, Speisebereich und Küche
und im linken Gebäude befinden sich fünf gemütliche, riesige Gästezimmer.
Ein weiteres Gästezimmer befindet sich seitlich am Hauptgebäude.
Die Lodge wird nur von Mauricio und zwei fürsorglichen Frauen geführt. Dann gibt es noch Hund Manni, ein übermütiger einjähriger Retriever. Der Besitzer der Lodge lebt anscheinend in Los Mochis. So abgelegen hatten wir uns das jedenfalls nicht vorgestellt und auf dem Berg ging’s im wahrsten Sinne des Wortes nur hier ab.
Kein Fernseher, kein Internet, nur die Mexikaner hatten an einer Ecke des Gebäudes ein Handynetz. Die Frau wurde fast verrückt, denn dort oben ist es selbst Füchsen und Hasen zu einsam. Also wenn man mal untertauchen möchte, dann am besten hier.
Mauricio bot uns zwei Ausflüge an. Wir könnten am Nachmittag eine Höhle besuchen und die Missionskirche im Ort. Am nächsten Morgen eine Tour durch den Cañon Urique. Die Mexikanerin fragte ihn, was man da zu sehen bekommt. Er konnte leider keine Auskunft darüber geben, denn wahrscheinlich war er selbst noch nie im Cañon. Bilder davon hatten sie auch keine. Sie lehnte ab, denn es hätte pro Person 500 P. = 24 € gekostet.
Auf die Fahrt zurück ins Tal hatten wir an dem Nachmittag auch keine Lust mehr, aber die Höhle hat uns interessiert. Ich fragte Mauricio, ob es weit bis zur Höhle ist. Es waren nur 10 Minuten zu Fuß, aber er konnte uns den Weg nicht erklären bzw. wollte es nicht. Er rief dann bei seiner Chefin an und reichte sie an mich weiter. Sie war einverstanden, dass er uns gegen ein Trinkgeld die Höhle zeigt. Wir waren froh, dass wir uns noch ein bisschen die Beine vertreten konnten und machten uns mit Mauricio und Hund Manni auf den Weg zur sog. Baumhöhle.
Es handelte sich dabei um eine Partyhöhle, die zu einem nahe gelegenen Wilderness Campingplatz gehört.
Nach dieser, einzigen Sehenswürdigkeit vereinbarte ich auf dem Rückweg mit Mauricio, dass wir am nächsten Morgen etwas früher zum Bahnhof fahren und er uns unterwegs die Missionskirche zeigt. Auf die Fahrt zum Aussichtspunkt auf den Cañon Urique verzichteten wir auch.
Zurück an der Lodge machten wir noch einen kurzen Spaziergang der Klippe entlang.
Leider ging es nicht sehr weit, da ein Zaun zum Nachbargrundstück den Pfad versperrte.
Um 19 Uhr gab es Abendessen: Gemüsesuppe, Enchiladas mit Huhn und zum Nachtisch einen Mini-Cheesecake. Die gute Hausmannskost wurde von den Frauen frisch zubereitet.
In dieser Höhe wird es nach Sonnenuntergang sehr schnell kalt. Wir wurden darauf hingewiesen, dass dicke Decken im Schrank liegen. Die haben wir in der Nacht aber auch gebraucht.
Die Höhenluft machte müde, aber die Mexikanerin im Nachbarzimmer quasselte ununterbrochen lautstark bis Mitternacht ihrem Mann die Ohren voll. Ich wusste bis zu diesem Tag nicht, dass Frauen soooo viel zu erzählen haben.